Anspruchsverlust: Kein Vorbehalt in Schlussrechnung nach Punkt 5.30.2. ÖNORM B 2110

Gerichtszahl: OGH 30.11.2011, 7Ob209/11b OGH 28.9.2011, 7Ob174/11f
Gesetzliche Grundlage: §§ 1168, 1170 ABGB; Pkt 5.30.2 ÖNORM B 2110 (2002)

Wortlaut von Punkt 5.30.2 ÖNORM B 2110 (Fassung 2002 – „Annahme der Zahlung, Vorbehalt“):

„Die Annahme der Schlusszahlung auf Grund einer Schluss- oder Teilschlussrechnung schließt nachträgliche Forderungen für die vertragsgemäß erbrachten Leistungen aus, wenn nicht ein Vorbehalt in der Rechnung enthalten ist oder binnen 3 Monaten nach Erhalt der Zahlung schriftlich erhoben wird. Der Vorbehalt ist schriftlich zu begründen. Weicht die Schlusszahlung vom Rechnungsbetrag ab, beginnt die Frist von 3 Monaten frühestens mit schriftlicher Bekanntgabe der nachvollziehbaren Herleitung des Differenzbetrages.“

Kernaussagen des OGH zu 7 Ob 209/11b

  1. Die Bestimmung in Punkt 5.30.2 der ÖNORM B 2110 (2002) über den notwendigen Schlussrechnungsvorbehalt (zur Anspruchswahrung) ist – ebenso wie die im Wesentlichen gleiche Vorgängerbestimmung des Punktes 2.13.2 der ÖNORM A 2060 – nach ständiger Rechtsprechung dahin zu verstehen, dass sie zwei verschiedene Tatbestände erfasst: 1. den Fall, dass der Auftragnehmer – bewusst oder unbewusst – in der Schlussrechnung nicht alle Forderungen geltend gemacht hat, wobei der Vorbehalt dann schon in die Schlussrechnung aufgenommen werden muss, und 2. jenen Fall, dass der Auftraggeber vom Schlussrechnungsbetrag Abzüge vornimmt und entsprechend weniger bezahlt. Die sachliche Rechtfertigung für diese Regelung liegt im Zweck der Bestimmung, die Rechtslage bei Bauprojekten mit zumeist hohen Auftragssummen möglichst innerhalb kurzer Zeit zu klären. Der Auftraggeber soll zu einem möglichst frühen Zeitpunkt das gesamte Ausmaß seiner Verpflichtungen überschauen und erfahren können.
  2. Bereits vor Legung der Schlussrechnung oder vor Annahme der davon abweichenden Schlusszahlung abgegebene Erklärungen sind nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung nicht ausreichend, wenn nicht der schriftliche Vorbehalt in der Schlussrechnung auf frühere, dem Erklärungsempfänger bekannte schriftliche Unterlagen Bezug nimmt. Das Unterbleiben eines Vorbehalts in der Schlussrechnung ist nämlich als nachträgliche Abstandnahme von früher erklärten Vorbehalten zu werten. Die Bestimmung könnte ihre Zielsetzung, möglichst rasch Klarheit über die Abrechnung zu schaffen, nicht erreichen, wenn jeder irgendwann im Zuge des Bauvorhabens erklärte Vorbehalt geprüft werden müsste.

Kernaussagen des OGH zu 7 Ob 174/11f

  1. Der letzte Satz in Punkt 5.30.2 ÖNORM B 2110 „[…] Weicht die Schlusszahlung vom Rechnungsbetrag ab, beginnt die Frist von drei Monaten frühestens mit schriftlicher Bekanntgabe der nachvollziehbaren Herleitung des Differenzbetrages.“, bezieht sich eindeutig auf den Fall, dass der Auftraggeber (AG) vom Schlussrechnungsbetrag Abzüge vornimmt und entsprechend weniger bezahlt.  Eine nachträgliche Geltendmachung der Ansprüche ist ohne Vorbehalt ausgeschlossen.
  2. Der vereinbarte Ausschluss der Geltendmachung nachträglicher Forderung kann auch nicht dadurch vermieden werden, dass der Anspruch auf Schadenersatz gestützt wird. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass eine Forderung nach § 1168 ABGB (die darauf beruht, dass hindernde Umstände auf Seiten des Bestellers den Unternehmer zu höheren Aufwendungen zwingen) ein Entgeltsanspruch und kein Schadenersatzanspruch ist. Nach herrschender Meinung sind allgemeine schuldrechtliche Grundsätze auf den Werkvertrag nur anzuwenden, soweit nicht werkvertragliche Sonderbestimmungen eine abschließende Regelung treffen.

Sachverhalt zu 7 Ob 174/11f

Der klagende Auftragnehmer (AN) führte im Auftrag des beklagten Auftraggebers (AG) Starkstrominstallationen bei einem Bauvorhaben durch. Zwischen den Parteien wurde die Anwendung der ÖNORM B 2110 vereinbart. Der AN begehrte mit der am 4.11.2010 eingebrachten Klage € 68.118,22  an Mehrkosten, die ihm durch eine dem AG zuzurechnende Bauverzögerung für die längere Baustelleneinrichtung und die damit verbundenen höheren Kosten für Geräte und Personal entstanden seien. Der AN hatte in der am 8.7.2010 beim AG eingelangten Schlussrechnung diese Kosten ganz bewusst noch nicht geltend (und diesbezüglich auch keinen Vorbehalt) gemacht, weil der AG die Bezahlung dieser Kosten zuvor wiederholt abgelehnt hatte und der AN den unstrittigen Werklohn sofort erhalten wollte. Die Klage wurde daher abgewiesen.

Harald Friedl
KÖB | REICH-ROHRWIG | KILIAN | FRIEDL