Das neue Vergaberecht – die neue horizontale Richtlinie

Das Vergaberecht wird kaum durch den österreichischen Gesetzgeber geschaffen, sondern auf Gemeinschaftsebene. Deshalb sind Richtlinienvorschläge für die Zukunft des Vergaberechts noch wichtiger als eine BVergG-Novelle. Die drei Kommissions-Vorschläge für neue Vergaberichtlinien, va die horizontale Richtlinie bringen auch Verbesserungen für die österreichische Bauwirtschaft: zB unkompliziertere Eignungsnachweise; klarere Definitionen; Förderung elektronischer Vergabeverfahren. Mehr noch profitieren Auftraggeber: einfachere Verfahrenswahl; flexiblere Fristberechnung; kürzere Angebots- und Teilnahmefristen; volle Bekanntmachungspflichten nur auf Bundesebene; Bewertung des Know-Hows von Mitarbeitern der Bieter auch als Zuschlagskriterium; weitgehend freier Ablauf der Angebotsprüfung; Sperre unzuverlässiger Bieter.

Hintergrund und Ziele des Entwurfes

Nach jahrelangen Studien und Konsolidierungen hat die Europäische Kommission Entwürfe für drei neue Vergabe-Richtlinien veröffentlicht. Die Entwürfe beziehen sich auf

  • eine neue horizontale RL;
  • eine Sektoren-RL; und
  • erstmals eine RL für Konzessionsvergaben.
© Martin Kozcy

Damit soll die Umsetzung und Anwendung des Vergaberechts verbessert werden. Unter dieser Verbesserung versteht die Kommission va eine Verschlankung. Vielleicht ist das der Grund, warum jeder der Richtlinien-Entwürfe zwischen 100 und 260 Seiten umfasst. Die Folgenabschätzungen zu jedem der Entwürfe verbrauchen noch einmal etwa dieselbe Menge an Papier.

Die Ziele des Binnenmarktes im öffentlichen Beschaffungswesen sind von ihrer Verwirklichung weit entfernt. Dabei handelt es sich um einen außerordentlich bedeutsamen Politikbereich: Die Mitgliedstaaten vergeben jährlich Aufträge im Wert von mehr als 240 Mrd. Euro. Doch etwa 25% der mit der Durchführung von Vergabeverfahren erzielten Einsparungen werden durch die Kosten für diese Verfahren wieder verbraucht.

Die Kommission will mit der Neukodifikation va (i) Unklarheiten in den EU-rechtlichen Vorgaben bekämpfen sowie (ii) die Unbeweglichkeit der gesetzlich zulässigen Vergabeverfahren und (iii) die großen nationalen Unterschiede im Vergaberecht. Außerdem geht es ihr um Korruptionsbekämpfung. Die Entwürfe sehen deshalb Vereinfachung, Flexibilisierung und Straffung der Verfahren vor, die zu mehr wirtschaftlicher Effizienz führen sollen. Aber auch die Erreichung nicht ausschließlich wirtschaftlicher, also politischer Zeile soll verbessert werden (zB Umweltschutz; soziale Ziele; Energieeinsparung; Förderung von Innovation; Sicherstellung öffentlicher Dienstleistungen). Klar ist, dass diese Ziele nicht allein durch Preisdrücken erreicht werden.

Dieser Beitrag beschäftigt sich mit dem Entwurf für die neue horizontale Richtlinie.

Die wichtigsten Änderungen

Definitionen: Grundsätzlicher wird Kontinuität gewahrt. Neu ist der grundlegende Begriff „Auftragsvergabe“, um den Anwendungsbereich des Vergaberechts und die Schwellenwerte besser zu bestimmen. Damit wird EuGH-Judikatur umgesetzt und werden Umgehungsmöglichkeiten verschlossen (versteckte Bauaufträge, Auftragssplitting).

Auch bei den Definitionen „Bauauftrag“, „Dienstleistungsauftrag“ und „gemischte Aufträge“ wird der Rechtsprechung des EuGH gefolgt. Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Lieferungen, Dienstleistungen und Bauaufträgen werden bereinigt: Es zählt immer der Hauptgegenstand des Projektes. Verteidigungsleistungen und Konzessionen, für die ja nur ein verdünntes Vergaberecht gilt, müssen getrennt von den „normalen“ Leistungsteilen vergeben werden, wenn eine Trennung der Auftragsteile objektiv möglich ist. Anderenfalls entscheidet wieder der Hauptgegenstand des Gesamtauftrages.

Verfahrensarten: Eine der wichtigsten Änderungen: Es wird auch künftig die Standardverfahren offenes und nicht-offenes Verfahren geben. Aber der Zugang zu Verhandlungsverfahren, wettbewerblichem Dialog und der neuen ‚Innovationspartnerschaft‘ wird wesentlich erleichtert. Die Innovationspartnerschaft ist ein Verfahren für die Entwicklung und den anschließenden Erwerb neuer, innovativer Produkte und Bauleistungen. Es muss nur ein vereinbartes Leistungs- und Kostenniveau eingehalten werden.

Sammelbeschaffung und elektronische Beschaffung sollen gefördert werden durch Rahmenvereinbarungen, dynamische Beschaffungssysteme, elektronische Auktionen, elektronische Kataloge, zentrale Beschaffungsstellen und gemeinsame Beschaffung.

Insgesamt wird durch diese Maßnahmen der Anreiz für Umgehungen vermindert und der Beschaffungsprozess (wahrscheinlich) für beide Seiten verbilligt.

Zur Förderung der elektronischen Auftragsvergabe sieht der RL-Vorschlag eine Verpflichtung zur Übermittlung von Bekanntmachungen in elektronischer Form, zur elektronischen Verfügbarmachung der Auftragsunterlagen sowie zur Umstellung auf eine ausschließliche elektronische Kommunikation vor, insbesondere auf eine elektronische Einreichung („e-Submission“).

Vereinfachungen va auf Landes- und Gemeindeebene: Diese AGs müssen bei Bekanntmachung einer Vorinformationen keine separate Auftragsbekanntmachung mehr veröffentlichen und erhalten mehr Flexibilität in Bezug auf die Festlegung bestimmter Fristen (nur 10 Tage Angebotsfrist in 2-stufigen Verfahren!). Volle Anwendbarkeit gilt nur mehr für Bundesministerien, BBG, BRZ und Forschungs- und Prüfzentrum Arsenal, also auch nicht mehr für ASFINAG, ÖBB usw.

Die Fristen für die Teilnahme und die Einreichung von Angeboten werden verkürzt bzw flexibilisiert. Eine Verfahrensbeschleunigung ist aber nur bei sehr einfachen Verfahren zu erwarten.

Ablauf der Angebotsprüfung: Die Vergabebehörden sollen selbst entscheiden, ob sie die Prüfung anhand der Zuschlagskriterien gegebenenfalls vor der Prüfung anhand der Eignungs- und Auswahlkriterien vornehmen. Ferner sollen sie Organisation und Qualität der Mitarbeiter der Bieter als Zuschlagskriterium bewerten dürfen. Obwohl die Kommission das Gegenteil bezweckt, wird dies zu einer Auflösung der Unterschiede zwischen Eignungs- und Zuschlagskriterien führen und die Gefahr von Intransparenz und Diskriminierung bringen.

Nur mehr fakultatives Ausscheiden, keine verbindliche Eignungsprüfung mehr: Bei Verstößen gegen das Arbeits-, Sozial- oder Umweltrecht ist ein Ausscheiden nicht mehr zwingend; ebenso bei Insolvenz, beruflicher Unzuverlässigkeit; Ausführungsmängeln. In letzterem Fall darf ein AG aber eine Vergabesperre verhängen: AGs dürfen Bieter ausschließen, die bei der Ausführung früherer Aufträge erhebliche oder dauerhafte Defizite erkennen ließen.

Die AGs können Eignungskriterien festlegen, müssen aber nicht. Beispiel: Verlangt der AG keine Bestätigung über die Berufsausübungsbefugnis, werden nicht befugte Bieter nicht mehr ausgeschieden, sondern es greifen nur mehr zivilrechtliche Mittel (Nichtigkeit, Rücktritt).

Vertragsänderung während der Laufzeit: Vor allem bei kombinierten Aufträgen über Bau und Facility Management oder bei PPPs ist bedeutsam, dass eine neue Bestimmung über Auftragsänderungen eine pragmatische Lösung für den Fall vorsieht, dass unvorhergesehene Umstände während des Durchführungszeitraums eine Anpassung des Auftrags erfordern. Da dieses Problem durch den EuGH (C-454/06, pressetext) bereits geklärt ist, bringt die Bestimmung nichts Neues.

Umweltfreundliche Produktionsprozesse: AGs dürfen in den technischen Spezifikationen und in den Zuschlagskriterien auch auf Faktoren abstellen, die direkt mit dem Produktionsprozess zusammenhängen (= Bauleistung selbst oder Baustoffe usw); auch das war im Wesentlichen schon zulässig, in der Praxis aber eine Rarität.

Eignungsnachweis: Neben den bekannten Eigenerklärungen und den ANKÖ-Bestätigungen soll die Beibringung konkreter Nachweise noch weiter erleichtert werden. Das soll durch Einführung eines standardisierten Dokuments – des „Europäischen Passes für die Auftragsvergabe“ – geschehen. Dieser soll als Nachweis dafür dienen, dass kein Ausschlussgrund vorliegt. Zur Vermeidung ungerechtfertigter Hindernisse enthält die vorgeschlagene RL eine vollständige Liste aller in Betracht kommenden Bedingungen für die Teilnahme an Vergabeverfahren.

Direkte Bezahlung von Sub-Auftragnehmern: Mitgliedstaaten können (müssen aber nicht) die Möglichkeit vorsehen, dass Subunternehmer vom AG eine direkte Zahlung der Lieferungen, Bauleistungen und Dienstleistungen verlangen können, die im Zuge der Auftragsausfü
hrung für den Hauptauftragnehmer erbracht wurden. Ähnliches gibt es zB in Frankreich und Polen seit langem; eine sinnvolle Einführung.

Korruptionsbekämpfung – Interessenkonflikte: An der Vorbereitung und Durchführung von Vergabeverfahren dürfen auf der Seite des AG nur Personen teilnehmen, die keine privaten Interessen am Verfahrensergebnis haben. Die Mitgliedstaaten haben jedoch die freie Wahl, wie sie dieses Ziel erreichen.

Vorarbeitenproblematik: Marktkonsultationen sind ein nützliches Instrument, um Informationen über Struktur, Fähigkeit und Kapazität eines Marktes verfügbar zu machen. Zur Verhinderung unfairer Vorteile oder Wettbewerbsverzerrungen müssen die zu treffenden Sicherheitsvorkehrungen vorgeschrieben werden (wieder freie Mittelwahl).

Governance: Außerdem sieht der Entwurf Änderungen vor, die sich nicht auf die Vergabeverfahren sondern die interne Organisation der AGs beziehen:

  1. Nationale Vergabeaufsicht: Die Mitgliedstaaten sollen eine nationale Behörde benennen, die für Überwachung, Umsetzung und Kontrolle der öffentlichen Auftragsvergabe zuständig ist. Das wäre in Österreich zB das Bundesvergabeamt. Bei der Umsetzung werden verfassungsrechtliche Hürden und Widerstand der Länder zu überwinden sein.
  2. Nationale Vergabe-Kompetenzzentren: Der Entwurf verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Einrichtung von Unterstützungsstrukturen, die Rechts- und Wirtschaftsberatung, Orientierungshilfen, Schulung und Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung von Vergabeverfahren anbieten. Im internationalen Vergleich sind Kompetenzzentren für PPPs üblich; deren Einführung ist in Österreich mehrfach gescheitert. Entscheidend wird sein, ob die Kompetenzzentren zwingend in Anspruch zu nehmen sind. In Österreich verfügen einige AGs über eine extrem hohe Kompetenz, an die das Kompetenzzentrum kaum heranreichen wird. Die freiwillige Inanspruchnahme ist aber eine sinnvolle Unterstützung, die auch im Interesse der Bieter liegt. Bemerkenswert ist, dass die Einführung des Kompetenzzentrums nach Ansicht der Kommission keine zusätzlichen Kosten verursachen darf; folglich müssten an anderer Stelle Kapazitäten abgebaut werden.
  3. Öffentliche Einsicht in große Verträge: Bei Aufträgen über 1 Mio EUR für Lieferungen und Dienstleistungen und über 10 Mio EUR für Bauleistungen müssen AGs den Wortlaut der abgeschlossenen Verträge der nationalen Aufsichtsstelle vorlegen, damit diese die Verträge auf verdächtige Muster hin prüfen kann und interessierten Parteien Zugang zu den betreffenden Dokumenten verschaffen kann. Grenze: legitime öffentliche oder private Interessen, zB an Geheimhaltung. Auch das ist international bei PPPs üblich – und mit Augenmaß gehandhabt auch sinnvoll. Die österreichische Umsetzung müsste sicherstellen, dass damit keine Möglichkeit geschaffen wird, Großprojekte missbräuchlich zu behindern.

Was kommt nicht?

Wer eine völlige Neukodifikation erwartete, wird enttäuscht. Die befürchtete Überregulierung ist erfreulicherweise ausgeblieben. Obwohl die Entwürfe viele Details zB zur Angebotsprüfung enthalten, sind sie im Vergleich zum geltenden Recht Österreich oder Deutschland wenig genau. Die bestehenden Probleme in diesem Bereich werden wohl bleiben.

Zeitplan

Die neuen Richtlinien sollen bis Ende 2012 beschlossen werden. Die nationale Umsetzung soll bis 30.6.2014 abgeschlossen sein.

Weitere Informationen

http://ec.europa.eu/internal_market/publicprocurement/modernising_rules/index_de.htm

Bernhard Kall
Müller Partner Rechtsanwälte