Die Zehn Gebote der auftragnehmerseitigen Bauabwicklung

© Martin Kozcy

Der Werkvertrag ist unterschrieben, der Bauauftrag erteilt und der Beginn der Bauarbeiten steht unmittelbar bevor. Wer glaubt, dass für den Auftragnehmer alles Rechtliche schon erledigt ist, der irrt gewaltig.

Mit der Bauabwicklung behandelt  dieser Teil der Serie „Zehn Gebote“ wohl die sensibelste Phase der Wirtschafts- und Rechtsbeziehungen des Auftragnehmers zum Bauherrn/Auftraggeber. Folgende zehn Regeln sollten nicht nur unmittelbar nach Abschluss des Vertrages, sondern auch während der gesamten Ausführungsphase eingehalten bzw. aufrechterhalten werden.

Damit beugt der Auftragnehmer nicht nur Streitfällen vor, sondern erhält die notwendigen Informationen und erstellt die erforderliche Dokumentation für allfällige Rechtsstreitigkeiten.

Die Einhaltung der Gebote erfordert vom Auftragnehmer jede Menge an Selbstdisziplin und verursacht ihm auch zusätzliche Kosten.

Dennoch: Letztlich kann die Einhaltung jeder Regelung den Unterschied ausmachen, ob man als Auftragnehmer mit Profit überlebt oder als Insolvenzeintrag in der Ediktsdatei endet.

Erstes Gebot – Wertbeständigkeit einfordern

Im Baugewerbe haben die Auftraggeber selten Skrupel, Risiken auf ihre Auftragnehmer abzuwälzen und Ausreden zu finden, um die Fälligkeit des Werklohns erst später eintreten zu lassen. Warum sollte man es als Auftragnehmer seinem Gegenüber hier also auch noch allzu leicht machen.

Sobald sich also Verzögerungen beim Baubeginn bzw. bei Beginn der Leistungen abzeichnen – egal ob zufällige oder taktische – sollte der Auftragnehmer gegenüber dem Auftraggeber die Anpassung des Wertes der Leistungen mit Nachdruck thematisieren. Schließlich hat der Auftragnehmer zuvor das Anbot auch auf Grundlage eines bestimmten Baukostenindexes gelegt.

Zweites Gebot – Prüfung der Aktualität der Angebots-/Auftragsgrundlagen

Unmittelbar nach Auftragserteilung, also sobald der Werkvertrag unterschrieben ist, und – falls es die Zeitabstände erforderlich machen – erneut unmittelbar vor Leistungserbringung muss der Auftragnehmer sämtliche Auftragsgrundlagen (z.B. Pläne, Baubeschreibung, Auftragsumfang etc) erneut dahingehend überprüfen, ob diese in Relation zur erwarteten Ausführung des Werkes stehen.

Insbesondere muss der Auftragnehmer jede absehbare Abweichung der tatsächlich zu erbringenden Leistungen von den Anbots-/Auftragsgrundlagen dokumentieren. Diese muss er auch dem Bauherrn sofort mitteilen, insbesondere wenn die Abweichung den Bauzeitplan/das Bauprogramm und/oder das Projektbudget beeinträchtigt.

Dabei sollte der Auftragnehmer die Auswirkungen auf Kosten und Zeit eindeutig darstellen, und – sofern der Auftragnehmer von der Abweichung betroffen ist – mitteilen, mit welchen Zeit- und/oder Kostenüberschreitungen der Auftragnehmer rechnet.

Drittes Gebot – Das Bauprogramm nachweislich einhalten

Die moderne Bauwirtschaft ist komplex und arbeitsteilig. Sie bedient sich deshalb ausgeklügelter Projektsteuerungssoftware. Bauzeitpläne werden beinahe in Echtzeit am tatsächlichen Baufortschritt angepasst und aktualisiert. Die Steuerung der Subunternehmer und der Zuliefererkette unterliegt somit der Veränderung.

Damit ist es für den einzelnen Auftragnehmer enorm wichtig geworden, dass er seine Leistungen zur richtigen Zeit am richtigen Ort angemessen in das Bauprojekt einbringt und dies auch lückenlos dokumentiert.

Bei arbeitsteiligen Abläufen lassen sich die Ursachen für Leistungsstörungen, Bauablaufstörungen und Produktivitätsverluste nur schwer feststellen. Sicher ist hingegen, dass jeder der Akteure zuerst die Schuld beim anderen sucht. Vertragsstrafen und Schadenersatzforderungen treffen oft nicht die tatsächlichen Verursacher, sondern jene Beteiligten, die sorglos bei der Dokumentation waren.

In einem derartigen Umfeld ist es für den Auftragnehmer ein absolutes Muss, die Baustellenakte, insbesondere die Bautagebücher, genauestens zu führen und ajour zu halten. Im Streitfall sind derart aussagekräftige Dokumente nämlich unbezahlbar.

Viertes Gebot – Schriftform

Erinnern Sie sich noch an die Die Zehn Gebote vor Abschluss eines Werkvertrages?

Alles, wirklich alles, was sie tun und sagen, sowie alles, was der Bauherr tut und sagt, muss schriftlich festgehalten werden. Dokumentieren Sie jede Besprechung, jede Anfrage, jedes Schreiben, jede E-Mail, alle Zeichnungen und Skizzen, sämtliche Vorgaben und Hinweise des Bauherrn etc. Wie wollen Sie sonst im Rahmen einer Streitbeilegung Ihren Standpunkt beweisen?

Fünftes Gebot – Bauabweichungen nachweislich vereinbaren

Die meisten Auftragnehmer beschränken ihre Bemühungen darauf, dass sie sicherstellen, dass das Werk ausgeführt wird und dass Verzögerungen auf das absoluteste Minimum beschränkt werden. Das ist zwar ehrenhaft, jedoch wer trägt die Kosten für diesen Aufwand?

Stecken Sie nicht den Kopf in den Sand. Bauabweichungen müssen immer, wirklich immer – also immer – schriftlich vereinbart werden, bevor Sie als Auftragnehmer mit der Ausführung dieser Arbeiten beginnen. Das beinhaltet insbesondere  eine Vereinbarung über die Kosten der Abweichung und die Auswirkungen der Abweichung auf das Bauprogramm.

Die meisten Auftragnehmer denken beim Begriff „Bauabweichung“ nur an zusätzliche Leistungen samt den damit verbundenen Kostenfolgen. Das ist zwar eine Form, aber eben nur eine der Formen. Eine Bauabweichung kann auch in einer Verzögerung bestehen, die ein anderer Subunternehmer oder ein Lieferant des Bauherrn verursacht. Diese Verzögerung kann wiederum, falls sie beim Auftragnehmer eine Warnpflicht auslöst, den Auftragnehmer schadenersatzpflichtig machen.

Dem gegenüber steht die Position der Bauherren. Diese versuchen zumeist, die Ausführung mit aller Eile beim Auftragnehmer durchzudrücken, denn sonst …. Hier hilft dem Auftragnehmer stets ein Blick in den Vertrag. Dort findet sich fast immer eine Bauherrnklausel zur Vermeidung von Mehrvergütungsansprüchen des Auftragnehmers, nach welcher für Zusatzleistungen Vergütung nur gewährt wird, wenn der Bauherr für die Leistungen zuvor sein schriftliches Einverständnis erteilt hat.

Warum sollte der Auftragnehmer also einen Vertragsbruch begehen, mit dem er dem Bauherrn Anlass gibt, rechtmäßige Ansprüche des Auftraggebers zu vermeiden. Daher: Ohne Zusatzauftrag, keine Zusatzleistungen!

Aber, verdirbt man sich damit nicht eigentlich das Klima mit dem Bauherrn?  Und gilt nicht der Grundsatz „Beiss nicht die Hand, die Dich füttert“? Gut, wenn es unbedingt sein muss und Sie meine Warnungen in den Wind schlagen wollen oder müssen: Es gibt auch einen „Plan B“: Erbringen Sie die Zusatzleistung. Erstellen Sie ein gemeinsames Aufmaß mit dem Bauherrn und stellen Sie ihre Zusatzleistungen in Rechnung. Wenn der Bauherr diese nicht bezahlt, dann machen Sie die Leistung kein zweites Mal.

Sechstes Gebot – Schlüssig, nachvollziehbar und transparent abrechnen

„Eine ordentliche Rechnungslegung hat alle Angaben zu enthalten, die eine Überprüfung der Angemessenheit (§ 1152 ABGB) zulassen. Der Besteller, der Baukosten zu zahlen hat, kann deshalb auf einer ordnungsgemäß zusammengestellten, vollständigen Rechnung bestehen“ (OGH, Rechtssatz RS0022017).

Damit ist alles Wesentliche gesagt. Wenn weder ein sachverständiger Dritter noch der Auftraggeber die Rechnung verstehen können, dann sind die Ansprüche auch nicht fällig. Schlampige Rechnungslegung führt vor Gericht oft zu bösen Überraschungen: Wenn schlampige Auftraggeber dann nach Jahren Einsicht zeigen und ordentlich abrechnen, sind die Ansprüche oft schon verjährt.

Rechnungen über Werkleistungen müssen damit ordnungsgemäß und in der vereinbarten Weise abgerechnet werden. Belegen Sie Ihre Ansprüche zusätzlich mit allen vorhandenen Nachweisen. Wenn notwendig gliedern Sie die Leistungen – falls erforderlich – noch zusätzlich auf in

  • solche die Sie in Erfüllung des
    vereinbarten Umfangs des Werkvertrages ausgeführt haben,
  • solche die Bauabweichungen betreffen, d.h. vom vereinbarten Umfang des Werkvertrages nicht erfasst sind, und schließlich
  • solche die Baustelleneinrichtung und die an der Baustelle angelieferten Anlagen und Baustoffe betreffen.

Siebtes Gebot – Keine überhöhten Forderungen

Die Chemie muss stimmen. Ungerechtfertigte überhöhte Forderungen zerstören das Klima mit dem Auftraggeber.

Sie erwarten sich eine faire und vernünftige Behandlung durch den Auftraggeber. Behandeln Sie den Auftraggeber also auch dementssprechend.

Freilich, gerade am Bau besteht für Auftragnehmer ständig die Verlockung, mit den Forderungen zu übertreiben. Manche hoffen schlicht, dass die Baukostenkalkulatoren (Project Quantity Surveyor) doch manchmal die überhöhte Forderung übersehen. Andere wiederum fürchten, dass der Auftraggeber mit ungerechtfertigten Einwänden die Forderungen ohnedies zusammenkürzen wird. Letztere setzen daher überhöhte Forderungen präventiv zur Verteidigung ein, damit nach dem Zusammenkürzen der angemessene und vertraglich vereinbarte Wert der Leistung übrigbleibt.

Sei es wie es sei: Tun Sie es nicht. Anderenfalls zerstören Sie damit die Beziehung zum Auftraggeber, Ihre eigene Glaubwürdigkeit und jedwedes Vertrauen in Ihr Unternehmen und Ihre Person auf immer und ewig.

Wenn Sie wissen, dass Ihre geltend gemachten Ansprüche zu 100% berechtigt sind, dann ist das auch für jeden Dritten, insbesondere auch für Richter und Gerichtssachverständige nachvollziehbar. Oder anders rum: Sobald Sie „schmutzige Hände haben“, d.h. nachweislich Ihre Glaubwürdigkeit und Rechtschaffenheit beeinträchtigt haben, sinken Ihre Obsiegenschancen in einem Gerichtsverfahren gegen null.

Achtes Gebot – Vorsicht bei Zahlungsplänen, Anzahlungen und Zwischenzahlungen

Zwischenzahlungen sind am Bau weit verbreitet. In der Praxis sehen diese zumeist so aus, dass der Auftragnehmer entweder nach Zeitabschnitten und/oder nach Baufortschritt bei Erreichen von Meilensteinen einen Teilbetrag im Verhältnis zum Wert der tatsächlich erbrachten Leistung erhält. In den meisten Fällen rundet der Auftraggeber hier zu seinen Gunsten den Wert der erbrachten Leistung ganz einfach ab, z.B. wenn der Vertragswert der Leistung EUR 327.438,-, beträgt die Teilzahlung jedoch nur EUR 300.000,-.

Viele Auftragnehmer wiegen sich hier in Sicherheit, da sie fälschlicherweise annehmen, dass der Auftraggeber dann auch alles zahlen wird. Mitnichten!!!

Eine eher unverbindliche Zwischenzahlung auf der Basis einer groben Einschätzung des Baufortschritts hat zumeist keinerlei verbindliche Wirkung. Bis zu dem Zeitpunkt, in dem der Auftraggeber die Höhe der Schlussrechnung anerkennt, ist bzw. bleibt hier alles offen.

Selbst wenn der Bauherr den vollen Leistungswert, d.h. in unserem Beispiel EUR 327.438,- bezahlt, ist der Auftragnehmer noch lange nicht auf der sicheren Seite. Dazu müsste der Auftraggeber zusätzlich den Leistungsstand anerkennen, was er selbstverständlich zumeist nur auf Verlangen des Auftragnehmers tut.

Soweit irgendwie möglich sollten Sie als Auftragnehmer gegenüber dem Bauherrn  daher immer auf Einhaltung des Grundsatzes „Strenge Rechnung, gute Freunde!“ drängen.

Neuntes Gebot – Forderungsbetreibung sofort bei Fälligkeit

Es ist Ihr gesetzliches und vertragliches Recht, dass der Auftraggeber Ihre Ansprüche sofort bezahlt, sobald diese fällig sind. Daher haben Sie auch ein Recht zu erfahren, warum der Auftraggeber nicht bezahlt.

Akzeptieren Sie weder Zahlungsverzögerungen, Zahlungsausfälle oder Abschlagszahlungen, wenn diese weder berechtigt noch begründet sind.

Achten Sie auf Scheineinwände und lassen Sie sich in diesem Zusammenhang nicht mit den Worten wie „Wir werden keinen Richter brauchen“ oder „Wir klären das später“ vertrösten. Erwägen Sie stattdessen eine gerichtliche Beweissicherung im Rahmen eines Beweissicherungsverfahrens, bevor die aus Ihrer Sicht unberechtigten Einwände irgendwo im Erdreich, im Beton oder sonst wo im Bauwerk verschwunden sind. Je eher Sie es sich versehen, ist sonst nämlich das Bauwerk fertiggestellt, die Entlastungsbeweise vernichtet und die Schlussrechnung durch den Auftraggeber beeinsprucht.

Zehntes Gebot – Bonitätsüberwachung

Baufirmen, egal welcher Größe, unterliegen einem sehr hohen Konkursrisiko.

Die Bonität Ihres Auftraggebers kann binnen kürzester Zeit von AAA auf „nicht versicherbares Ausfallsrisiko“ herabgestuft werden. Somit ist dort, wo die Forderungen nicht durch Bankgarantien besichert sind, eine begleitende Bonitätsprüfung für jeden Auftragnehmer ein absolutes Muss.

Da es sich bei Ihrem Unternehmen wohl um eine profitorientierte Kapitalgesellschaft handelt und nicht um eine mildtätige Stiftung, sollten Sie keine Sekunde zögern, die Interessen Ihres Unternehmens bedingungslos gegen jene Wirtschaftsteilnehmer durchzusetzen, die nicht mehr als Auftraggeber, sondern als Haftungs- und Ausfallsrisiko einzustufen sind.